Technische Systematik nach Masatomi Ikeda

Ursprung des Lehrinhaltes Sanhinkai

Sensei Masatomi Ikeda baute sein Lehrsystem ("Sanshinkai") gestützt auf den vom Aikikai Hombu-Dojo vorgegebenen Inhalten auf. Er war während vieler Jahre Schüler von Sensei Hiroshi Tada, 9. Dan und Technischer Direktor des Aikikai Weltverbandes. Tada Sensei wiederum erhielt noch Unterricht direkt von O-Sensei Morihei Ueshiba, dem Begründer des Aikido.
> Herkunft der inhaltlichen Lehre von Ikeda Sensei (PDF)

Das vom Aikikai Weltverband verbreitete Aikido lässt sich in die drei Hauptthemen gliedern:

  • Tai waza - Techniken basierend auf dem Körpereinsatz, ohne Instrumente
  • Aiki-jo - Techniken gestützt auf die Bewegungsabläufe und Verwendung des Jo (Stab)
  • Aiki-ken - Techniken gestützt auf die Bewegungsabläufe der Schwertanwendung, bzw. des Bokken (Schwert)

Es wird unterstützt von drei Schwerpunktbereichen:

  • Buki tori - Abwehr von Angriffen mit Tanto (Messer), Bokken (Schwert) und Jo (Stab)
  • Ukemi (das "Empfangen der Technik") - die Ausübung der Rolle des Angreifers (Uke) und das damit verbundene Wissen, wie sich die Wirkung der Aikido-Technik entfaltet
  • Tai sabaki ("Körperbewegung") - strukturierte Bewegungsfolgen

Der Lehrstoff basiert auf der Kombination dieser Themen mit den entsprechenden Inhalten und Übungen. Am Schema ist auch erkennbar, welche Inhalte nicht im Lehrplan enthalten sind, beispielsweise die Abwehr gegen Aikido-fremde Waffen. In allen didaktischen Systemen im Aikikai Weltverband werden vier Haupttechniken als zentrale Basistechniken unterrichtet: Ikkyo, Kotegaeshi, Iriminage, Shihonage.

Die gebräuchlichsten traditionellen Kriterien zur näheren Klassifizierung von Aikido-Techniken sind neben der Namensgebung auch Attribute, welche sich auf die Art der Ausführung beziehen:

  • Omote- und Ura waza - die Ausführung der Technik vor bzw. hinter dem Kontrahenten
  • Nage- und Osae waza - Wurf- und Immobilisationstechniken

Das ganze Repertoire im Aikikai umfasst vielleicht ca. 700 Techniken, wobei sich die einzelnen Techniken durch die oben genannten Wirkungsansätze identifizieren und voneinander unterscheiden lassen.

Die acht grossen Basis-Wurftechniken:

Omote waza Ura waza
Sumiotoshi Aikigoshi
Kotegaeshi Aiki Otoshi
Iriminage Kaitenage
Shihonage Udekimenage

Die acht grossen Basis-Immobilisationstechniken:

Omote waza Ura waza
Ikkyo Gokyo
Nikyo Hijikimeosae
Sankyo Uchikaiten-Sankyo
Yonkyo Udegarami

 

Das von Sensei Masatomi Ikeda entwickelte Lehrsystem gründet technisch auf dem Aikikai Aikido. Der Name "Sanshinkai" bedeutet, dass im Dojo drei Künste gelehrt werden. Er bezieht sich auf die drei Säulen des Lehrinhaltes Sanshinkai: Aikido, Hojo und Genkikai (eine Art regenerative Gymnastik). Die drei Künste ergänzen sich und da in allen die gleichen Grundprinzipien gelten, helfen Fortschritte in einer von ihnen auch beim Erlernen der anderen beiden.

Sanshinkai Aikido - 16 Angriffsformen und 32 Basistechniken

Als Lehrsystem zur Unterrichtserteilung hat Ikeda Sensei die grosse Zahl der Aikido-Techniken in ein System mit 16 Angriffsformen und 32 Basistechniken gegliedert.

> Sanshinkai Aikido: 16 Angriffe (PDF) 
> Sanshinkai Aikido: 32 Techniken (PDF)

Klassifizierung von Aikido-Techniken nach Masatomi Ikeda

Der Lehrinhalt und das den Techniken zugrunde liegende Bewegungskonzept von Sensei Ikeda ermöglichen eine differenzierte Kategorisierung der Techniken. Dadurch wird das System verständlicher mit dem Ziel, nicht nur die oft wiederholten, routinemässig geübten oder die im Lehrprogramm enthaltenen Basistechniken korrekt wiedergeben zu können, sondern auch alle künftigen vom Aikidoka erlernten Techniken dem System konform umsetzen zu können.

Es ist ein Klassifizierungssystem für den Unterricht. Es unterstützt den Aikido-Lehrer in der Auswahl der zu unterrichtenden Techniken, indem es für alle Techniken weiterführende Attribute zulässt. Das hilft den Schülern, Gemeinsamkeiten nicht nur aufgrund von Ähnlichkeiten der Bewegungsfolge zu erkennen, sondern eine differenziertere Betrachtung zu entwickeln.

Die von Sensei Ikeda angewandten Kategorien zur Klassifizierung sind

  • Ort der Ausführung vor (Omote waza) oder hinter (Ura waza) dem Partner.
  • Art der Ausführung als Halte- (Osae waza) oder Wurftechnik (Nage waza).
  • Hauptbewegungsrichtung der Ausführung mit den Attributen oben und unten, links und rechts, vorne und hinten sowie spiralig.
  • Zentrales Element des Wirkungsansatzes auf den Angreifer mit den Attributen wuchtig (Uchi-no-ri), haltend (Osae-no-ri), werfend (Nage-no-ri) und schneidend (Zan-no-ri).'
  • Gegensätzlichkeit von Ausführungs- und Wirkprinzipien gemäß dem Prinzip von Yin und Yang.
  • Art der Einatmung bei der Ausführung der Technik mit den Attributen tiefe Bauchatmung durch den weit geöffneten Mund, schluckende Bauchatmung, kurze und knappe Einatmung, schneidendes Einatmen durch die knapp geöffneten Lippen.

Der ganze Hintergrund der Konzeption wird erst nach Jahren des intensiven Übens und der Auseinandersetzung erkannt und verstanden.

> Techniktabelle A nach Ikeda Sensei (PDF)
> Techniktabelle A als 3D-Grafik (JPG)
> Techniktabelle B nach Ikeda Sensei (PDF)
> Techniktabelle Schwerpunktelemente (PDF)

Erläuterung der Tabellen nach M. Tanner:

Die "Mutter aller Techniken" - die Technik "Furizuki" - befindet sich in der Abbildung des Systems in der Mitte der 3D-Grafik und links als Ausgangspunkt in der Techniktabelle A. Sie ist abgeleitet aus der Bereitschaftsposition "Jodan-no-Kamae" beim Schwertkampf. Sie bildet eine Patt-Situation beider Kontrahenten, wenn sich diese mit gezogenen Schwertern und bei gekreuzten Schwertspitzen gegenüber stehen. In dieser Position ist nicht ersichtlich, wer Angreifer und wer Verteidiger ist; die Situation ist unentschieden.

Illustration der Positon "Jodan-no-Kamae"
im Schwertkampf mit Bokken


Die Technik "Furizuki" entsteht unmittelbar aus dieser Position heraus: Bei fehlender Aufmerksamkeit eines der Kontrahenten kann mit der Bewegung "Maki" die Deckung geöffnet und mit "Zuki" augenblicklich der Kampf entschieden werden – ungeachtet dessen, ob die Technik vom Angreifer oder vom Verteidiger angewandt wird.

Ob der Tod des Gegenübers in Kauf genommen wird, hängt einzig von der moralisch-ethischen Betrachtung des Anwenders ab. So entscheidet dieser, ob statt Furizuki eine andere technische Realisierung angewandt wird: Ikkyo. Sie ist die Schwestertechnik von Furizuki und steht ebenfalls in der Mitte der Darstellung im Spiegel. Kommt Ikkyo zur Anwendung, steht Gnade im Vordergrund und Aikido wird erst möglich.

In der Skizze mit den vier Hauptrichtungen und mit Ikkyo ura / Furizuki (als duales moralisch-ethisches Prinzip, nicht als Technik!) in der Mitte entstehen Ikkyo (als Technik), Kotegaeshi, Iriminage und Shihonage. Diese gründen auf den oben erwähnten Hauptbewegungsrichtungen oben - unten / links - rechts / vorne - hinten / spiralig und entspringen aus den "Vater-" und "Mutter-Techniken" Tenchinage (Yang/Yon-no-te) und Genkeikokyunage (Yin/In-no-te), welche beide, wie in der Schwerthaltung üblich, zweihändig und mit der Summe zweier oben erwähnten Hauptbewegungsrichtungen realisiert werden:

  • "Vater-Technik": Tenchinage - Yang / Yon-no-te, positive Haltung mit Projektion des Ki nach aussen, bzw. vorne, es wirkt Yang, Wucht, Aktivität auf den Kontrahenten ein; Bewegungsrichtung des oberen Armes = oben - unten; Bewegungsrichtung des unteren Arms = hinten - vorne
  • "Mutter-Technik": Genkeikokyunage (Spiegelbild von Tenchinage) - Yin / In-no-te, weibliches Prinzip, negative Haltung mit Projektion des Ki in den Innenkreis der eigenen Armstellung; es wirkt Yin, Weichheit, Flexibilität auf den Kontrahenten ein; Bewegungsrichtung des oberen Armes = spiralig; Bewegungsrichtung des unteren Armes = links - rechts

Diesen beiden Vater-/Muttertechniken entspringen ihrerseits die Haupttechniken als Gruppen oder "Familien" zusammen mit anderen Techniken, welche ebenfalls auf denselben Bewegungsrichtungen basieren: Ikkyo als "Familienpfad" mit 'oben - unten' ist mit Ikkyo ura, Sumiotoshi, Gokyo, Aikigoshi und Maeotoshi zusammengefasst. Deren Gemeinsamkeit gründet auf der Kraft, welche Wasser (siehe Grafik) innehat, wenn es von oben nach unten fallend einen Körper mit Wucht trifft.

Mit dieser Wirkung wird Ikkyo auch in die Gruppe "Atemi waza" eingeteilt: 80 % Atemi mit gutem Körper-/Masseneinsatz, dem nichts entgegen gesetzt werden kann, 20 % technische Finesse. Dabei ist die Atmung frühlingshaft, frisch, jung, auch etwas ungestüm.

Aus diesem Blickwinkel können die übrigen Haupttechniken ebenfalls in Familien kategorisiert und exakt mit Ausführungs- und Wirkungs-Attributen versehen werden. Die Summe der vier Haupttechniken bildet Uchikaitenage. Die Technik schliesst alle vier Hauptbewegungsrichtungen und damit auch die Wirkungsprinzipien ein.

Mit dieser Struktur bildet das System darüber hinaus einen "Eskalations-Pfad": D.h. aus dem Zentrum heraus mit Furizuki wird entschieden, dass statt Tod und Gewalt Aikido zur Anwendung gelangt. Dabei kann prioritär eine Technik realisiert werden, welche die direkte Umsetzung in eine Festhaltetechnik (Osae-waza) erlaubt, z.B. Ikkyo ura. Bringt dies nicht die erwünschte Klärung der Lage, können weitere Massnahmen realisiert werden, und so weiter.

  • Das erste Anwendungsprinzip ist dabei Ikkyo, frühlingshaft, jung, etwas ungestüm, allerdings auch nicht mit ausgesprochen hohem Ausfallpotential. Die Wucht der Technik gründet auf dem Element Wasser. Die Bewegung wird integral in eine Festhalteposition ("Osae-waza") am Boden überleitet.
  • Die nächsthöhere Eskalationsstufe, Kotegaeshi, Prinzip links - rechts, Erde, Sommer, hat schon definitiveren Charakter und ein höheres Ausfallpotential für Verletzungen der Hand, des Arms und der Schulter und beim Wurf natürlich des Körpers; "von der Lawine (Erde) getroffen, wird der Kontrahent augenblicklich immobilisiert".
  • Iriminage ist die nächste Stufe der Eskalation. Das Ausfallpotential ist direkt gegeben! Es liegt höher, am Hals, aufgrund der Fixierung des Kopfes und des Halsbereichs bei der Technik. "Der Wind wirkt in luftiger Höhe stark auf einen Körper und kann diesen nicht nur umwerfen, sondern Äste am Baum werden abgebrochen." Denn mit der Vor-Zurück-Bewegung kann der Hals ernsthaft verletzt werden und es droht gar der Tod.
  • Shihonage besitzt grösstes Ausfallpotential. In seiner Natur liegt der definitive, endgültige Schnitt "Kesagiri", diagonal durch den ganzen Körper, von der Schulter zur Hüfte (Kesa = orange Schärpe der buddhistischen Mönche; Geri = Schnitt); "bei Feuer verbrennt man sich immer und die Gefahr ist augenblicklich lebensbedrohlich".

Shihonage beinhaltet das Aufziehen des Schwertes in einer Spiralbewegung und das Ausführen des Schnitts, unterstützt von einer Drehung des ganzen Körpers mit seinem ganzen Masseneinsatz. Die Atmung ist kurz und scharf, wie wenn man eisige Luft atmet. Die Ausführung endgültig. "Der Winter sorgt für den Tod in der Natur und für Schwaches folgt kein Frühling".

Diese Dinge sind auch philosophisch zu betrachten.

Es ist nicht notwendig, bei der Ausführung auf Verletzung und den Ausfall abzuzielen. Die Anwendung ist situativ, der Lage angemessen. Sie lässt immer einen Ausweg für den Angreifer, falls dieser den Angriff einstellt. In diesen Dimensionen - zwischen Gnade und dem Ende - liegt die Entscheidung der Realisierung beim Aikidoka.

Verwendung von Waffen im Sanshinkai Aikido

Wie in den  meisten Aikido-Schulen werden auch im Sanshinkai Aikido drei hölzerne Nachbildungen alter japanischer Waffen als Übungsinstrumente verwendet:

  • Bokken: ein aus schwerem Holz nachgebildetes Samurai-Schwert
  • Jo: ein 1,27 m (50 Zoll) langer und etwa 2,2 cm dicker Stock
  • Tanto: ein weniger als 30 cm langer Dolch oder Messer mit leicht gebogener Klinge

Als "Kata" wird ein festgelegter Bewegungsablauf bezeichnet, der meist wiederholt geübt wird. Der Lehrwert dieser Katas ist je nach Kenntnisstand des Übenden unterschiedlich. Er beginnt bei der korrekten Handhabung der Waffen mittels Grifffertigkeit und Anwendung (Schneide-, Schlag- und Stossbewegungen), Ausführung der Bewegung körpersynchron unter Einbezug des ganzen Körpers und der korrekten Abläufe aller einzelnen Schritte bis zur optimalen strategischen und taktischen Anwendung in beiden Rollen der beteiligten Partner in der Kata.

Im Aikido existieren je nach Lehrsystem verschiedene Katas. Im Lehrsystem Sanshinkai sind dies:

  • zwei Katas mit Jo - die Katas Nr. 1 und 2 von Tada Sensei
  • fünf Katas mit Bokken - die Katas Ichi-no-dachi, Nin-no-dachi, San-no-dachi, Yon-no-dachi, Go-no-dachi (übersetzt ungefähr "Kata Nr. 1 bis 5 mit dem Schwert") und Ki-musubi-no-dach (übersetzt etwa "Kata mit dem Schwert zur Verschmelzung mit dem Ki des Angreifers")
  • darüber hinaus lassen sich alle Techniken im Aikido zu Bewegungsabläufen mit Jo oder Bokken zusammenfassen. 
    Eine öfters angewandte Form ist beispielsweise der Ablauf Maeotoshi - Hikiotoshi - Kiriotoshi - Kaitenotoshi. 

Zur meditativen Wirkung von Bokken-Katas siehe auch Kapitel Hojo.